Dina Ugorskaja

Archi­tek­to­ni­sche Spiri­tua­lität

von Attila Csampai

12. Oktober 2016

Johann Sebastian Bachs Wohltemperiertes Klavier zählt bis heute zu den größten Herausforderungen für jeden ernsthaften Pianisten.

Trotz einiger heraus­ra­gender Refe­renzen gibt es da kein festes Rezept. Jeder muss in diesem „Alten Testa­ment“ seinen eigenen Weg finden, um dann zu erkennen, dass hier die strengsten Regeln zu größter Frei­heit führen können. Die in Lenin­grad gebo­rene Pianistin , die heute in lebt, hat sich ein Jahr lang intensiv mit dieser „Enzy­klo­pädie des Bach­schen Univer­sums“ beschäf­tigt, bevor sie ins Studio ging, um dann gleich beide Bände, also alle 96 Prälu­dien und Fugen, zu einer groß­ar­tigen archi­tek­to­ni­schen und spiri­tu­ellen Einheit zu formen.

Die Tochter eines berühmten Pianisten ist eine sensible Künst­lerin, die größte Klar­heit und Präzi­sion mit einer ganz beson­deren Art von spiri­tu­eller Intui­tion verbindet und so jedem einzelnen Stück einen fast magi­schen Charakter verleiht. Sie bewegt sich dabei in einer sehr geheim­nis­vollen Welt zwischen der sich deut­lich äußernden Wirk­lich­keit und einer entrückten Sphäre meta­phy­si­scher Frei­heit und kommt so bei vielen Stücken zu völlig neuen, oft über­ra­schenden, aber stets in sich stim­migen Lösungen: Es sind ganz zärt­liche und dann wieder auch ener­gi­sche Bele­bungs­pro­zesse, die sie da in Gang setzt und die so die verbor­genen Seelen­schätze hinter aller konstruk­tiven Logik frei­legen. Dabei fühlt man sich nicht unbe­dingt als Adressat, sondern als stiller Zuhörer dieser intimen Dialoge zwischen Bach, Gott und dem Universum, denn Dina Ugor­skaja bleibt in einer noblen Distanz, die die innere Fragi­lität ihres Diskurses schützt. Ein beein­dru­ckender Appell an die Frei­heit des Geistes.