Brigitte Fassbaender

Ganz nah am Nerv der Musik

von CRESCENDO Redaktion

24. Oktober 2017

Den ECHO KLASSIK 2017 für das Lebenswerk erhielt Brigitte Fassbaender. Thomas Voigt traf die Künstlerin in München. 

Den ECHO KLASSIK für’s Lebens­werk erhält dieses Jahr Brigitte Fass­baender. Thomas Voigt traf die Künst­lerin in München.

Es war Anfang der 1970er Jahre, als ich alle drei kennen­lernte, Vater, Mutter und Kind – nicht persön­lich natür­lich, sondern durch die Medien. Den Vater, Willy Domgraf-Fass­baender, in der Titel­rolle von Mozarts „Figaro“ in der legen­dären Glyn­de­bourne-Aufnahme unter Fritz Busch. Die Mutter, Sabine Peters, im Film „Die vier Gesellen“ mit Ingrid Bergman. Und Tochter Brigitte in der Gesamt­auf­nahme von Flotows „Martha“ mit Anne­liese Rothen­berger.

Und ich werde nie diesen aller­ersten Eindruck von vergessen. Endlich wieder eine Sängerin, die in der Tiefe ein Faß aufma­chen konnte. Eine derart sonore Tiefe kannte ich bis dato nur von Martha Mödl, der Callas und den großen italie­ni­schen Mezzos. Und wie diese sang Fass­baender mit einer Prägnanz des Ausdrucks, die einem die Figur plas­tisch vor Augen führte. Dass sie auch im Studio Phrasen riskierte, die über den Rahmen vokaler Eben­mä­ßig­keit hinaus­gingen, das unter­scheidet sie von vielen Sänge­rinnen, die vor dem Mikro­phon nicht annäh­rend so aufre­gend klingen wie live. Brigitte Fass­baender agierte im Studio mit derselben Inten­sität wie auf der Bühne. Bestes Beispiel: ihr Orlofsky in der schwung­vollen „Fledermaus“-Aufnahme unter . Das ist pures Kopf­kino in Tech­ni­color. Gerade bei dieser Figur muss man mehr riskieren, als nach den Regeln der klas­si­schen Gesangs­kunst viel­leicht ratsam ist. Nicht, weil eine so genannte Hosen­rolle auch herbe, „andro­gyne“ Farben verträgt, sondern weil Orlofsky ein extremer Charakter ist, der sich im Ton deut­lich vom Rest der Ball­ge­sell­schaft abheben muss.

„Die ganze Palette ihrer Stimm­farben“

Wie sehr sie diffe­ren­zierte, wenn sie die Hosen anhatte, zeigen Fass­baen­ders Live-Aufnahmen des „Rosen­ka­va­lier“. Da nutzt sie die ganze Palette ihrer Stimm­farben, von lyrisch-zärt­lich in den Dialogen mit der Marschallin und Sophie bis herb-dras­tisch in den Travestie-Szenen und in der Konfron­ta­tion mit dem Herrn Baron. So bedau­er­lich es ist, dass sie nie Gele­gen­heit bekam, ihre zentrale Opern­figur im Studio aufnehmen, so froh können wir sein, dass der wunder­bare Münchner „Rosen­ka­va­lier“ von und 1979 aufge­zeichnet wurde; die Szenen mit Fass­baender und Lucia Popp (Sophie) gehören zum Schönsten, was es im Opern­ka­talog gibt.

„Natür­lich wollte ich immer so schön wie möglich singen, doch die Wahr­haf­tig­keit der Aussage war mir letzt­lich wich­tiger als der reine Schön­ge­sang. Man sagt doch immer, dass einen etwas erreicht oder nicht erreicht. Und wenn ich es schaffe, dass ich jemanden erreiche, dann lege ich keinen Wert darauf, ob es perfekt gesungen ist“. Mit diesen Worten hat Brigitte Fass­baender die Frage nach „Grenz­par­tien“ wie Azucena, Eboli und Amneris beant­wortet. Sie hat diese Rollen mit Verve und Leiden­schaft gesungen und dabei mehr gewagt als nach den klas­si­schen Regeln der Gesangs­technik „erlaubt“ war. Gerade das war es, was ihr eine unge­heure Ausdrucks­kraft gab –nach­zu­hören auch in vielen ihrer Lied-Aufnahmen, voran in Schu­berts „Winter­reise“ mit . Gibt es eine ähnlich konse­quente, ähnlich dring­liche Darstel­lung des Zyklus auf Platten, so weit entfernt vom Kammer­sänger-Ton, so nah am Nerv der Musik?

Dieses Sich-Trauen, etwas Wagen war wahr­schein­lich die größte Hürde, die sie als Sängerin über­winden musste. „Ich war derart schüch­tern und gehemmt, dass ich mich nicht getraut habe meinem Vater vorzu­singen. Statt dessen habe ich ihm nach , wo er damals Ober­spiel­leiter an der Oper war, ein Band geschickt: Hör dir das bitte mal an, ob es sich lohnt für ein Gesangs­stu­dium. Und als Antwort kam zurück: Komm zu mir, ich bilde dich aus. – Sich sänge­risch zu offen­baren ist ja eine sehr intime Ange­le­gen­heit, und Singen Lernen ist ja auch ein Akt mensch­li­cher Entwick­lung. Deshalb brau­chen wir Sänger ja eigent­lich keinen Psycho­the­ra­peuten: wir sind von Berufs wegen gezwungen, unsere Hemmungen zu über­winden. Und das ist mit das Beste am Sänger­beruf: durch das Erlernen des Hand­werks können lernen unsere Nerven in den Griff zu kriegen, loszu­lassen, uns hinzu­geben und zu befreien“.

„Die Wahr­haf­tig­keit der Aussage war mir letzt­lich wich­tiger als der reine Schön­ge­sang“

33 Jahre dauerte ihre Bühnen-Karriere: am 1. April 1961 trat sie ihren Anfän­ger­ver­trag mit der Baye­ri­schen Staats­oper an, 1994 gab sie ihre letzte Opern­vor­stel­lung (Klytäm­nestra an der Met) und ihren letzten Lieder­abend. Über drei Jahr­zehnte mit eindring­li­chen Rollen­por­traits („Wozzeck“-Marie, Bran­gäne, Amneris, Char­lotte neben Placido Domingo als Werther), mit unver­ges­senen Lieder­abenden und Konzerten, mit exem­pla­ri­schen Aufnahmen und TV-Produk­tionen, darunter „Hänsel und Gretel“ mit Edita Gruberova.

In den Jahren danach, als Regis­seurin und Inten­dantin, hat sie womög­lich noch härter gear­beitet als zuvor. An die 50 Stücke hat sie seit 1992 insze­niert, darunter Brit­tens „Midsummer Night Dream“ ( und Tel Aviv), „Tristan und Isolde“ ( und ), „Lucio Silla“ (London und ) und natür­lich den „Rosen­ka­va­lier (, Inns­bruck, Amsterdam und -Baden). Wie die Regis­seurin wurde auch die Inten­dantin Fass­baender – in Braun­schweig und Inns­bruck wie bei den Richard-Strauss-Fest­spielen in Garmisch – als wohl­tu­ende Ausnahme empfunden, als Indi­vua­listin, die weder Main­stream noch Sensa­ti­ons­lust bediente.

Von der Nach­richt, dass ihr Lebens­werk mit dem „ 2017“ ausge­zeichnet wird, am 29. Oktober in der , war sie „absolut über­wäl­tigt“. Das Kapitel „Inten­dantin“ ist abge­schlossen, das der Lehrerin und Regis­seurin noch lange nicht: Brigitte Fass­baender unter­richtet nach wie vor, und als nächste Insze­nie­rungen sind „Hänsel und Gretel“ in Braun­schweig, „Capriccio“ in und Rossinis „Barbiere“ in geplant. Vermisst sie das Singen? „Über­haupt nicht. Nach meinem Abschied von der Opern­bühne haben manche versucht, mich zu einem Come­back zu über­reden. Zum Beispiel hat mir Joan Holender die „Piqué Dame“-Gräfin für Wien ange­boten. Aber das habe ich konse­quent abge­lehnt. Rezi­ta­tion von Melo­dramen wie „Enoch Arden“ oder Schil­lings „Hexen­lied“ – sehr gerne. Aber ich möchte kein Come­back als Sängerin. Außerdem eigne ich mich über­haupt nicht für Alters­rollen.“

Fotos: Jennifer Selby