Trautonium

So was haben Sie noch nie gehört!

von Maria Goeth

7. März 2017

Gäbe es einen Verein zum Schutze aussterbender Musikinstrumente, das Trautonium wäre garantiert auf der Roten Liste. Vom Instrument, das aus einer Glühlampe entstand.

Gäbe es einen Verein zum Schutze ausster­bender Musik­in­stru­mente, das Trau­to­nium wäre garan­tiert auf der Roten Liste. Liegt das am Klang? Über­haupt nicht! Das Trau­to­nium ist wohl einer der größten Pech­vögel der Musik­ge­schichte. Vom Instru­ment, das aus einer Glüh­lampe entstand.

Es klingt wie eine extra­va­gante Mischung aus E‑Orgel, frühem Synthe­sizer und kuriosem Akkor­deon. Es sieht aus wie eine Kreu­zung aus Jukebox, groß dimen­sio­niertem Verstärker und Heim­orgel. Ein Besuch bei Peter Pichler, einem der welt­weit einzigen Spieler des Trau­to­niums. Im Münchner Norden versteckt sich sein Studio – bis unter die Decke voll mit Musik­in­stru­menten-Rari­täten und Elektro-Anti­qui­täten, etwa einer Samm­lung von Super-8-Kameras. Das Herz­stück des Raumes bildet ein soge­nanntes Mixtur­tr­au­to­nium, ein Nachbau speziell für Pichler. Aber was hat es mit diesem eigen­ar­tigen Instru­ment auf sich? Seine Geschichte ist mindes­tens so verwun­der­lich wie sein Klang. Es ist eine Geschichte des fort­wäh­renden, fulmi­nanten Schei­terns.

Alles begann in den 1920er-Jahren mit dem verrückten Erfinder und Visionär Fried­rich Traut­wein. In , damals Kultur­haupt­stadt der musi­ka­li­schen Avant­garde, tüftelte er an Laut­spre­chern und den ersten elek­tro­ni­schen Musik­in­stru­menten. 1930 stellte Traut­wein auf dem Berliner Fest „Neue Musik“ sein nach ihm benanntes „Trau­to­nium“ vor, eine Art Vorläufer des heutigen Synthe­si­zers. Grund­prinzip: Über eine lange Metall­schiene wird ein Draht gespannt, der – für den Spieler unmerk­lich – unter elek­tri­scher Span­nung steht. Wird dieser nieder­ge­drückt, entstehen Töne – und zwar nach dem Prinzip der Kipp­schwin­gung, das man eigent­lich von Glimm­lampen her kennt. So lassen sich stufenlos Töne in verschie­densten Frequenzen inner­halb eines immensen Ton- und Laut­stär­ke­um­fangs erzeugen. Ein Klang­filter ermög­licht ein reich­hal­tiges Spek­trum an Farben von „weich“ bis „scharf“. Später erlaubte ein subhar­mo­ni­scher Gene­rator darüber hinaus das Zuschalten verschie­dener „Unter­töne“, also dem Gegen­stück der natür­li­chen Ober­ton­reihe. Und vor allem: Die Töne ließen sich unmit­telbar ins Radio einspeisen, eine gran­diose Lösung für das Problem schlechter Aufnah­me­qua­lität zu dieser Zeit.

„Eine Geschichte des fort­wäh­renden, fulmi­nanten Schei­terns“

Kein Wunder, dass sofort reges Inter­esse am Trau­to­nium aufkam. So wurde eine Instru­men­ten­schule verfasst und trotz des hohen Preises für den Bau eine seri­en­mä­ßige Produk­tion begonnen. Tatsäch­lich war das Trau­to­nium Musik­in­stru­ment, für das es Leasing­ver­träge gab, die es auch für Normal­bürger finan­zierbar machten. Sofort begeis­terte sich der Kompo­nist dafür und kompo­nierte 1930 mit Des kleinen Elek­tro­mu­si­kers Lieb­linge die ersten ernst zu nehmenden Werke für den „Frisch­ling“ auf dem Instru­men­ten­markt. Sein Schüler Oskar Sala war ohnehin an der Entwick­lung des Trau­to­niums betei­ligt gewesen und avan­cierte darauf schnell zum Virtuosen schlechthin. Auch Film­kom­po­nisten waren vom ausdrucks­ge­wal­tigen Klang des Trau­to­niums entzückt – es entstanden rund 300 Film­mu­siken mit ihm, darunter Hitch­cocks „Die Vögel“, wo ein Rausch­ge­ne­rator im Instru­ment für das Vogel­flat­tern sorgt.

Doch mit der Macht­er­grei­fung der Natio­nal­so­zia­listen schwand das Inter­esse am Trau­to­nium schlag­artig dahin. Hinde­mith wanderte aus, etliche Trau­to­nium-Werke des Hinde­mith-Schü­lers Harald Genzmer gingen in den Wirren des Zweiten Welt­kriegs verloren, und die seri­en­mä­ßige Produk­tion wurde einge­stellt. Eine zweite Chance hätte das Instru­ment unter Umständen nach dem Krieg bekommen können, doch die „neue“ Avant­garde – etwa um – hatte sich längst anderen Arten des Klangar­ran­ge­ments zuge­wandt. Und die wenigen „Trau­to­nio­niten“ hielten nicht zusammen: Oskar Sala über­warf sich mit Traut­wein und Genzmer – es kam sogar zu einem Rechts­streit bezüg­lich der Namens­rechte am Instru­ment –, und es war kein promi­nenter Lehrer vorhanden, der das komplexe Gerät in größerem Stil hätte weiter­ver­mit­teln können oder wollen.

Eine weitere Chance, das Trau­to­nium aus seinem Schat­ten­da­sein zu befreien, verpasste Sala, als sich in den 1970er-Jahren die jungen Musiker der Band Kraft­werk an ihn wandten. Die Künstler waren begeis­tert von elek­tro­akus­ti­schen Phäno­menen und wollten unbe­dingt mehr über das Trau­to­nium erfahren – doch Sala verstand deren Musik nicht und hielt sich distan­ziert – nicht ahnend, dass Kraft­werk als Pioniere des Elektro-Pop berühmt werden sollten und heute als Erfinder des Techno gelten.

„Wird ihm die späte Renais­sance des Trau­to­niums gelingen?“

1988 entdeckte dann der junge Peter Pichler, damals Student der klas­si­schen Gitarre und Renais­sance-Laute am Salz­burger Mozar­teum, den Klang des Trau­to­niums. Etwas Derar­tiges hatte er noch nie gehört, doch es sollte weitere 21 Jahre dauern, bis Kapital, Zeit und Gele­gen­heit eine inten­si­vere Beschäf­ti­gung mit dem Instru­ment zuließen: 2009 verfasste er ein Thea­ter­stück über die Geschichte des Trau­to­niums, forscht seitdem intensiv über dessen Historie, Technik und Lite­ratur, ließ verschie­dene Versionen davon nach­bauen, expe­ri­men­tiert und übt und übt und übt. In der Baye­ri­schen Staats­bi­blio­thek hat er einige Hand­schriften von verloren geglaubten Trau­to­nium-Kompo­si­tionen Genz­mers ausge­graben und einge­spielt. Soeben sind sie auf CD erschienen. Pichler gibt (stets ausver­kaufte) Konzerte, tritt bei Festi­vals auf, wirkt in Kinder­stü­cken mit, kommu­ni­ziert mit Stif­tungen und Museen.

Weil es sich aber (noch) nicht leben lässt vom Trau­to­nium, arbeitet der Multi-Instru­men­ta­list auch mit Musi­kern wie Hans Söllner oder Funny van Dannen und unter­richtet an einer Musik­schule in bei . Wird ihm die späte Renais­sance des Trau­to­niums gelingen? Frag­lich, denn einmal mehr hat das origi­nelle Instru­ment Pech: Während andere kuriose Klang­er­fin­dungen aus den1920er-Jahren, wie etwa das Theremin in Russ­land und die Ondes Martenot in Frank­reich, staat­liche Förde­rung erfuhren und teils bis heute erfahren, hat sich Pichler mühe­voll die Unter­stüt­zung einiger weniger Insti­tu­tionen – etwa der Harald Genzmer und der Hinde­mith Stif­tung – erkämpft. Und fast alle origi­nalen Instru­mente stehen in Museen und sind für das aktive Spiel verloren, dürfen weder verän­dert noch repro­du­ziert werden. Ein Trau­to­nium des 2002 verstor­benen Oskar Sala, das über einen spezi­ellen Frequenz­teiler für Glocken­klänge verfügt, steht im Deut­schen Museum in München, darf absur­der­weise aber weder ange­schaltet noch für einen Nachbau vermessen werden. So bleibt dieser ausge­fal­lene, eigen­tüm­liche Klang vorerst einem kleinen Publikum vorbe­halten – eine verlo­rene und noch nicht ganz wieder­ent­deckte Musik des 20. Jahr­hun­derts!

Das Trau­to­nium

Das Trau­to­nium ist ein elek­tro­ni­sches Musik­in­stru­ment und Vorläufer des heutigen Synthe­sizer. Entwi­ckelt haben es 1930 der deut­sche Erfinder und Elektro-Pionier Fried­rich Traut­wein (1888–1956), nach dem es auch benannt ist, und der Kompo­nist und Musiker Oskar Sala (1910–2002). Erst­mals öffent­lich präsen­tiert wurde das Trau­to­nium im Rahmen des Berliner Fests „Neue Musik“ 1930. Seit dem Tod Oskar Salas gibt es nur noch sehr wenige Menschen, die das ausge­fal­lene Instru­ment beherr­schen.

Fotos: Dietmar Zwick