Mozartfest Würzburg 2023

Über­ir­di­sches im Unter­ir­di­schen

von Claudia Irle-Utsch

9. Juni 2023

Beim Mozartfest Würzburg 2023 entführte die innovative Konzertreihe Freispiel mit stimmlichen »Lockungen« ins Weinkellergewölbe der Residenz. Das Vokalensemble Le chant trouvé gab ein gelungenes Debüt.

Tief unten: ein hohes Gewölbe. Ein Ort, an dem Kost­bares reifen kann. Zeit hat eine andere Dimen­sion, denn die Welt draußen ist plötz­lich fern. Hier können sich Dinge entfalten. Beim Mozart­fest Würz­burg wurde der Wein­keller der Resi­denz zu einer faszi­nie­renden Loca­tion für ein inspi­rie­rendes Projekt. Die Reihe Frei­spiel, 2022 begonnen, fragt bewusst nach anderen Formen des Konzer­tie­rens. Das „specu­lire – studiere – über­lege“, das dieses Mal die „Faszi­na­tion Mozart“ umkreist, brachte die Stipen­dia­tinnen und Stipen­diaten des Mozart­La­bors im vorigen Jahr auf die Idee, den Resi­denz-Wein­keller mit Musik zu füllen. Das Wandel­kon­zert „Lockungen“ war expe­ri­men­tell und inter­aktiv, sowohl was die Klänge als auch das Zusam­men­spiel mit dem Publikum anging. Und so hieß es an den beiden Konzert­abenden am 7. und 8. Juni 2023 immer wieder „Komm!“ und „Schau!“ und „Höre!“. Die Musik verhieß Entde­ckungen. Und anders als manch andere verfüh­re­ri­schen Einla­dungen löste sie ihr Verspre­chen ein – im Nach­hall und im Wider­hall.

Le chant trouvé beim Mozartfest Würzburg
Gestal­tete ein mitrei­ßendes Wandel­kon­zert im Wein­keller der Würz­burger Resi­denz: das Vokal­im­pro­vi­sa­ti­ons­en­semble Le chant trouvé

Das Konzept der Studie­renden rund um den Konzert­de­si­gner Thomas Posth (u.a. Orchester im Trep­pen­haus) hat getragen. Auch und vor allem, weil die künst­le­risch Ausfüh­renden den „Freispiel“-Ball so enga­giert und souverän aufnahmen. Das Würz­burger Vokal­ensemble Le chant trouvé, spezia­li­siert auf mehr­stim­mige Impro­vi­sa­tion über musi­ka­li­sche Vorlagen vor allem der Renais­sance, ließ sich ein auf das Projekt. Gern folgte das Publikum dieser kompe­tenten Führung durch das laby­rin­thisch anmu­tende und stim­mungs­voll illu­mi­nierte Keller­ge­wölbe der Resi­denz. Aber Vorsicht: Nicht alles war, wie es schien, denn auch die Irri­ta­tion gehörte zum Konzept.

Nicht trinken nämlich sollte der Gast den im Glas gereichten Wein, sondern mit dem Kelch in der Hand den Keller durch­wan­dern, dem schim­mernden Rotling wider­stehen, unge­achtet selbst der gesun­genen Auffor­de­rung „buvons mes amis“, des „Lasst uns trinken, Freunde“ im Tour­dion von Pierre Attaing­nant. Das „Vignon, vignon, vignette“ von dessen Zeit­ge­nossen Claudin de Sermisy hatte den Abend eröffnet. Fast aus dem Nichts formte sich der Gesang, formierte sich der Chor in immer wieder verän­derter Aufstel­lung, mal Rücken an Rücken, mal über größere Distanz, gemeinsam und in kleinen Grup­pie­rungen. Erst am Ende des rund einstün­digen Programms war er ganz klas­sisch und frontal zu erleben.

Die Sänge­rinnen und Sänger loteten die Wein­kel­ler­winkel mit ihren Stimmen auf unter­schied­liche Weise aus. Durchaus mit Sinn für Humor (zum Beispiel mit dem Fragen und Antworten des „O la, o che bon eccho“ von ) und mit dem Mut, den bauli­chen Gege­ben­heiten der massiv ange­legten Lager­stätte so ganz und gar nach­zu­spüren: mit Händen und Füßen, einem fast eksta­ti­schen Tanz, mit beschwö­rendem Wispern und einem gespens­ti­schen Flüs­tern, das auch der Stille Raum lässt.

Evelyn Meining
Musi­zierte mit ihrem Wein­glas mit: Evelyn Meining, die Inten­dantin des Mozart­fests Würz­burg

Die Atem­studie (2023) von Eva Kuhn markierte mit der nach­fol­genden Impro­vi­sa­tion den Über­gang zum vorwie­gend konzer­tanten Teil der Auffüh­rung. Nun durfte sich das Publikum an langen Tisch­reihen der „gewal­tigen Melodei“ hingeben, dieser klang­li­chen Fülle, stimm­lich ausge­wogen und darge­boten mit einer enormen Präsenz, harmo­ni­sche Fügungen auskos­tend, mit großer Ruhe und von hoher Inten­sität. Zum Nieder­knien war sie, die Musik von Orlando di Lasso, , und Robert L. Pear­sall. Bei Ēriks Ešen­valds Stars erhellte sich, welche Wahr­heit der lange mitge­führte Wein verbarg: ein Klingen und Schwingen, ein elemen­tarer Ton, erzeugt durch das Kreisen des Fingers auf dem Rande des Kelchs, jeder für sich als Teil eines größeren Ganzen. Über­ir­di­sches im Unter­ir­di­schen!

Für Le chant trouvé, an diesem Abend nicht allein unter der Leitung von Almut Gatz, sondern auch der Kölner Diri­gier­stu­dentin Mirja Betzer, wurde „Lockungen“ zum absolut gelun­genen Mozart­fest-Debüt. Geför­dert wurde das Projekt auch von dem drei­tei­ligen Pilot-Programm tuned – Netz­werk für zeit­ge­nös­si­sche Klassik. Damit unter­stützt die Kultur­stif­tung des Bundes inno­va­tive Ansätze, die neue Wege im „klas­si­schen“ Konzert­be­trieb aufzeigen. Dass das tradi­ti­ons­reiche Mozart­fest Würz­burg Teil dieses Netz­werks sein darf, sei eine „Wert­schät­zung, auf die wir stolz sind und die uns weiter anspornt“, so Inten­dantin Evelyn Meining. Sie ergründet mit ihrem Team andere Zugänge zur klas­si­schen Musik – in der Konzert­reihe Frei­spiel ebenso wie in etablier­teren program­ma­ti­schen Facetten des Mozartsfests.

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Informationen zu weiteren Konzerten der Reihe Freispiel beim Mozartfest Würzburg im Juni 2023: www.mozartfest.de

Fotos: Fabian Gebert, Claudia Irle-Utsch