Musiktheater in Linz

Tootsie: Das ewige Spiel der Geschlechter

von Dorothea Walchshäusl

7. Februar 2024

Das Linzer Musiktheater feiert die Premiere der österreichischen Erstaufführung des deutschsprachigen Musicals Tootsie. Die Inszenierung von Ulrich Wiggers vermag es die Kultgeschichte facettenreich und klug aufzufächern.

Als Dustin Hoffman Anfang der 1980er im Film Tootsie zur Frau mutierte, war die Zuschau­er­schaft begeis­tert. Hoff­mans Schau­spiel­leis­tung war bril­lant und die Mann-wird-Frau-Parodie mit Tief­gang ein echter Publi­kumshit. Vierzig Jahre und zahl­reiche Me-Too-Debatten und Woke­ness-Appelle später stellt sich jedoch die Frage: Funk­tio­niert die Tootsie-Story über­haupt noch? Wo liegt ihr Reiz, wo ihre Rele­vanz für die Gegen­wart? Sind doch Männer, die als Frauen kostü­miert in High Heels über die Bühnen stol­pern, längst eher Affront denn launiger Slap­stick und ist die Geschlech­ter­welt in all ihrer Komple­xität endlich auch in der öffent­li­chen Wahr­neh­mung ange­kommen. Am Linzer Musik­theater hat man Tootsie trotzdem – oder viel­leicht gerade deshalb – aufs Programm gesetzt. Im Dezember hat die öster­rei­chi­sche Erst­auf­füh­rung des deutsch­spra­chigen Musi­cals Première gefeiert, bis Juni ist das Werk noch etliche Male zu erleben (siehe Termine). Und ja, sie funk­tio­niert tatsäch­lich, die Tootsie-Story, mehr denn je sogar. Dies ist der ebenso fein­sin­nigen wie berüh­renden Aufbe­rei­tung in der Linzer Insze­nie­rung von Ulrich Wiggers zu verdanken, die es vermag, das ewige Spiel der Geschlechter inmitten der poin­ten­rei­chen und kurz­wei­ligen Geschichte facet­ten­reich und klug aufzu­fä­chern.

Die Grund­ge­schichte des Kult­werks ist schnell erzählt: Schau­spieler Michael Dorsey torkelt von einer Krise in die nächste, span­nende Rollen sind nicht in Sicht, von Erfolg und guten Gagen ganz zu schweigen. In seiner Verzweif­lung verkleidet er sich als Frau namens „Dorothy Michaels“ und nimmt am Casting für die Rolle der Amme in einer neuen Version von Romeo und Julia teil. Als er tatsäch­lich auser­wählt wird, gerät sein Leben völlig aus dem Lot. Schließ­lich hatte eigent­lich seine dauer-lamen­tie­rende Freundin Sandy auf die Rolle gehofft, zudem ist die Insze­nie­rung eine Zumu­tung und Regis­seur Ron ein Macho par excel­lence. Wäre da noch Schau­spiel­kol­lege Max, der sich Hals über Kopf in Dorothy verliebt, während Michael der Julia-Darstel­lerin verfällt, dies aber natür­lich nicht zeigen kann. Obwohl Tootsie auch in der Musi­cal­ver­sion grund­sätz­lich komö­di­an­tisch daher­kommt, sind die Grenzen flie­ßend zwischen knall­bunten Schen­kel­klopfer-Momenten und berüh­renden Szenen, in denen die Einsam­keit, Verlo­ren­heit und das Ringen um Würde der verschie­denen Figuren eindrucks­voll spürbar werden. Dabei ist es ein Quali­täts­merkmal der Insze­nie­rung, dass sie bei aller Freude an Slap­stick-Szenen und irrwit­zigen Verklei­dungs­ritts nie in den Klamauk abdriftet. Maßgeb­lich trägt dazu der Haupt­dar­steller Gernot Romic in der Rolle des Michael bzw. der Dorothy bei. Romics weib­li­cher Alter Ego ist keines­wegs die schrille Parodie einer Frau. Viel­mehr steht da eine reife Lady mit mütter­li­chem Instinkt auf der Bühne, die Stimme sonorig schwin­gend, die Gestik wohl gesetzt und die Worte mit Nach­druck formu­liert. Mit der Strahl­kraft und Power einer Frau, die am Leben gewachsen ist, setzt sich Dorothy erfolg­reich zur Wehr gegen jegliche „Schätzchen“-Titulierung und Me-Too-Anvancen durch die Regis­seure wie Kollegen auf der Bühne. Dabei verhilft sie den Frauen in ihrer Gegen­wart zu Selbst­be­wusst­sein und Respekt, stellt die Machismen der Männer­welt mit Grazie auf den Kopf und defi­ni­niert die Romeo-und-Julia-Erzäh­lung kurzer­hand um zum Stück „Julias wahre Amme“, einer Hymne auf zwei Frauen, die ihr brach­lie­gendes Poten­tial entfalten.

An der Seite von Romic tanzen, singen und spielen in Linz Sanne Mieloo als Julie, Enrico Treuse als Regis­seur Ron Carl­isle, Celina dos Santos als Sandy Lester und Chris­tian Fröh­lich als Max Van Horn, begleitet von einem agilen Ensemble, das inmitten des redu­zierten Bühnen­bilds (Leif-Erik Heine) mit packenden Choreo­gra­phien (Kati Heide­brecht) über­zeugt. Das Bruckner Orchester sitzt gut sichtbar ober­halb der Bühne und entfaltet unter dem impuls­starken und federnden Dirigat von Juheon Han einen farben­rei­chen Big-Band-Sound. Die Bühne selbst ist in Linz gestaltet als über­großer Schmink­tisch. „Maybehim New York“ ist als Marke omni­prä­sent, auf dem Boden funkeln die Felder einer Lidschat­ten­pa­lette, die Box für Watte­stäb­chen wird zur Bank, ein Nagel­lack­ent­ferner mutiert zur Cock­tailbar, Spray­dosen öffnen sich als Schränke und die Instru­men­ta­listen sitzen mitten im Schmink­koffer. So wird der Rausch der Verklei­dung, das Spiel mit den Rollen, Kostü­mie­rungen und gewagten Outfits humor­voll einge­fangen. Die Insze­nie­rung selbst aber blickt hinter die Fassaden und als am Ende die Masken fallen, stehen die Menschen selbst im Mittel­punkt mit all ihren Brüchen und Schwä­chen aber auch den neu gewon­nenen Stärken. „Du warst so viel klüger als ich“, sagt Michael seinem Spie­gel­bild Dorothy ins Gesicht, durch deren Augen er gelernt hat, die Menschen mit wärmerem, empa­thi­scherem Blick zu sehen. „In Tootsie geht es darum, dass ein Mann ein besserer Mann wird, indem er erfährt, wie es ist, eine Frau zu sein“, so hat Dustin Hoff­mann die Kern­idee des Stücks einst beschrieben. Dies gilt auch heute noch und findet in Linz ein hoff­nungs­volles, wenn auch offenes Ende. „Ich vermisse Dorothy“, sagt die Julia-Darstel­lerin. „Das musst du nicht. Sie steht hier vor dir“, erwi­dert Michael, dann erlischt das Bühnen­licht.

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Termine : 24. Februar, 1., 8., 16., 23. März, 5., 22., 24. April, 1., 6., 19. Mai, 13., 14., 29. Juni

Fotos: Herwig Prammer